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Das älteste Romani-Sprachdenkmal zwischen Polnisch-Tschechisch und Ungarisch

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Bislang galt Andrew Bordes Romani-Text (Entstehungszeit 1547), der in Sussex aufbewahrt wird, als das älteste Zeugnis der Romani-Sprache. Der Taschencodex des Ebersberger Benediktiner-Mönches Johannes von Grafing (BSB-Bestand: Opuscula Cod.graec. 582 a) mit einem Romani-Sprachbeispiel ist jedoch mindestens 30 Jahre früher fertiggestellt worden (zwischen 1495 und 1517) und ist somit das älteste erhaltene Romani-Sprachdenkmal.*

romani

Der Romani-Text wird mit zwei waagrechten Strichen vom übrigen Text getrennt. Das Schriftbild ist im Gegensatz zum vorangehenden polnisch-tschechischen Sprachbeispiel kleiner und gedrungener. Im  ungarischen Sprachdenkmal, das auf dieser Seite anfängt und auf der nächsten Seite fortgesetzt wird, kommen diese zwei Schreibstile abwechselnd vor.

Johannes von Grafing wird mit Humanisten seiner Zeit wie z.B. Conradus Celtis Protucius in Verbindung gebracht. Sein Taschencodex enthält Abschriften gedruckter Bücher, die zwischen den Jahren 1495 und 1512 erschienen sind: (klassische griechische Werke mit ihren lateinischen Übersetzungen, Aphorismen und Werkabschnitte von Philosophen, Grammatiken und Wörterlisten) und daneben Aufzeichnungen von damaligen Volkssprachen in Form von Gebeten und alltäglichen Ausdrücken.

Er soll sich zwischen den Jahren 1510 und 1515 zu Studienzwecken in Wien aufgehalten und als ein spracheninteressierter Feldforscher kurze Sprachführer der Sprachen Polnisch-Tschechisch, Romani, Ungarisch und Kumano-Türkisch in seinen Taschencodex eingefügt haben. Ob er die Informanten vor Ort in Wien oder auf einer Reise durch Mittelosteuropa gefunden und interviewt hatte, ist nicht geklärt.

Die Anordnung der Sprachen entspricht jedenfalls einer möglichen Reiseroute, der polnisch-tschechische Text steht am Anfang, gefolgt vom Romani-Sprachdenkmal, danach kommen die ungarischen und die kumano-türkischen Sprachbeispiele. Alle Sprachdenkmäler sind für die Philologien der jeweiligen Sprachen von eminenter Bedeutung, das Romani-Sprachdenkmal ist zudem das älteste Zeugnis dieser Sprache.

In den anderen Sprachen sind zusätzlich zu den weltlichen Ausdrücken auch Gebete wie Vater Unser, Ave Maria und das Glaubensbekenntnis aufgezeichnet worden. Der Romani-Text enthält nur weltliche Ausdrücke, besteht aus 67 lateinischen bzw. 61 Romani-Lemmata und ist in vier größere Abschnitte, die durch Zeilen getrennt sind, unterteilt.

Es werden zuerst sieben der zwölf Tierkreiszeichen mit ihrem lateinischen Äquivalent genannt. Darauf folgen 30 Begriffe aus dem Alltagsleben für Mensch, Tier und Körperteile: puer/schabo für Junge, lepus/schoschoich für Hase und caput/saro für Kopf. Der nächste Abschnitt besteht aus kurzen Sätzen mit ihrem jeweiligen lateinischen Äquivalent z.B. da michi pecuniam/deo me parnj (gib mir Geld) oder quid dixisti/sopensal (was hast du gesagt). Zum Schluss folgen in drei Zeilen die Zahlen, wobei die Zahlwörter für 100 und 200 fälschlicherweise mit 1000 und 2000 übersetzt werden.

Die Schrift des Textes ist schwer lesbar. Mindestens 50 Begriffe des unveröffentlichten Romani-Textes können jedoch sicher identifiziert werden.


*Der klassische Philologe Georg Nicolaus Knauer hat 1996 das Buch auf der Suche nach der verlorengeglaubten lateinischen Prosa-Übersetzung des pseudo-homerischen Batrachomyomachia von Johannes Reuchlin untersucht. Dabei hat er außer der gesuchten lateinischen Übersetzung auch die Sprachdenkmäler entdeckt. Den Romani-Text hat 1999 der amerikanische Iranist William L. Hanaway identifiziert.

Ausgewählte Literatur:

  • Katalog der griechischen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München / 9: Codices graeci Monacenses 575 – 650 (Handschriften des Supplements). 2014 [BSB-Bestand]
  • In Romani Studies, 2010 Jun. Vol. 20(1) S. 1-15 : Knauer, Georg Nicolaus: The earliest vocabulary of Romani words (c.1515) in the Collectanea of Johannes ex Grafing, a student of Johannes Reuchlin and Conrad Celtis. [BSB-Bestand]
  • Knauer, Georg Nicolaus: The humanistic Collectanea of a Benedictine monk, Johannes ex Grafing, a student of Johannes Reuchlin and Conrad Celtis: observations concerning Munich, Bayerische Staatsbibliothek, manuscript Cgrm 582a, Chm 400, 401, and also Cgrm 323 ; draft, March 2004, revised December 2009, checked March 2012. 2012 ; unfinished [BSB-Bestand]

                                                                                                             Richard Holzberger


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