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Drucke aus dem Russischen Bürgerkrieg

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Der Bayerischen Staatsbibliothek gelang es in der letzten Zeit ihre Osteuropasammlung um einige seltene und aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte bemerkenswerte Drucke und Handschriften zur Geschichte der tschechoslowakischen und jugoslawischen Freiwilligenverbände im Ersten Weltkrieg und im Russischen Bürgerkrieg zu erweitern.

©BSB-München / Filip Hlušička

Die Aufstellung einer Auslandsarmee, die zur Niederlage Österreich-Ungarns auf dem Schlachtfeld beitragen und damit den Zerfall des Vielvölkerstaates beschleunigen sollte, gehörte zum erklärten Ziel einflussreicher tschechischer und slowakischer Exilpolitiker, die nach Wegen zur Eigenstaatlichkeit ihrer Völker suchten. Sowohl in Frankreich als auch in Italien gab es zwar auch Freiwilligenverbände aus Tschechen und Slowaken, zahlenmäßig und militärisch gesehen war die Tschechoslowakische Legion in Russland jedoch die weitaus bedeutendste.

„Und nass reinlaufen tut mir’s auch schon!“      Zouvák: Humoristická příloha časopisu „Kopřivy“ (Der Stiefelknecht: Humoristische Beilage der Zeitschrift „Die Brenesseln“), Jg. 1, Nr. 1., Remčice 1917 [Handschrift] (BSB-Signatur: Ana 826.3)

Die Oktoberrevolution des Jahres 1917 und der im März des darauffolgenden Jahres von der bolschewistischen Sowjetregierung mit den Mittelmächten geschlossene Friede von Brest-Litowsk machten allerdings eine Strategieänderung notwendig: Nachdem nun die Ostfront in Russland weggefallen war, sollte die Legion, die als eine Streitmacht der Entente betrachtet wurde, an der Westfront in Frankreich zum Einsatz kommen. In dem immer mehr in den Bürgerkrieg abdriftenden Land erschien zu diesem Zeitpunkt als der einzige noch freie Weg dorthin der mit der Eisenbahn an den Pazifik und von dort mit dem Schiff nach Europa.

„Marsch zurück, hier gehörst Du nicht hin.“     (Österreichischer Gendarm zum tschechoslowakischen politischen Exilführer und späteren ersten tschechoslowakischen Präsidenten T.G. Masaryk) In: Zouvák: Humoristická příloha časopisu „Kopřivy“ (Der Stiefelknecht: Humoristische Beilage der Zeitschrift „Die Brenesseln“), Jg. 1, Nr. 1. [Handschrift] (BSB-Signatur: Ana 826.3)

Eine eigens im Zug eingerichtete Felddruckerei hatte die Aufgabe, die zwischen die Fronten des Bürgerkriegs geratene und über einen riesigen Raum von Kiew bis Wladiwostok verteilte Truppe, der ebenfalls kleinere rumänische, polnische und serbisch-kroatisch-slowenische Freiwilligenverbände angehörten, mit Informationen zu versorgen. Es fehlte praktisch an allem: an Maschinen, Papier, Druckerfarbe, vor allem aber an tschechischen Lettern mit diakritischen Zeichen. Ständig musste improvisiert werden, Kälte und Kampfhandlungen erschwerten die Arbeit zusätzlich. Neben „Československý denník“ („Tschechoslowakisches Tagblatt“), einer Tageszeitung, die von Woche zu Woche ja manchmal von Tag zu Tag an einem jeweils anderen Ort entlang der Bahnlinie erschien, standen weitere Periodika, Belletristik, unterschiedliche Anleitungen und Handreichungen genauso auf dem Verlagsprogramm wie Amtsdrucke für den Truppenbedarf. Flugblätter und Broschüren in russischer Sprache sollten die örtliche Bevölkerung über die Tschechoslowaken, ihre Anliegen und Absichten aufklären und dadurch ihren Vormarsch durch das Bürgerkriegsland erleichtern.

F. Velechovskij: Čechoslovaki v Rossii.(Die Tschechoslowaken in Russland.) Ekaterinburg 1918 (BSB-Signatur: 81.96932)

I. Kudelja: Pervaja godovščina Čechoslovackoj Respubliki. (Der erste Jahrestag der Tschechoslowakischen Republik.) Irkutsk 1919 (BSB-Signatur: 81.98112)

Graždane! Tovarišči soldaty! Železnodorožniki! (Bürger! Genossen Soldaten! Eisenbahner!) [Petropavlovsk 26.5.1918?]. [Flugblatt] (BSB-Signatur: Ana 826.9)

„Es wenden sich an Euch die Soldaten der tschechoslowakischen Revolutionsarmee. Wir traten freiwillig in die tschechoslowakischen Regimenter ein, wir kämpften während des Krieges Seite an Seite mit unseren russischen Brüdern in grauen Mänteln gegen die Räuber auf dem Berliner und Wiener Thron. Nachdem die Sowjetmacht mit Kaiser Wilhelm und Kaiser Karl Frieden geschlossen hatte, beschlossen wir den Revolutionskampf für die Befreiung unseres und anderer Völker Mitteleuropas von dem deutsch-magyarischen Joch an der Westfront fortzusetzen.“

Die Tschechoslowakische Legion verstand sich selbst als ein gegen Habsburg agierendes Revolutionsheer und griff auf die Symbolik der Hussiten zurück, die Soldaten redeten einander mit „Bruder“ an.

Rudolf Raše: Na cestu domů mořem (Für den Nachhauseweg übers Meer.) Irkutsk 1919 (BSB-Signatur: 81.97679)      Nützliche Tipps bezüglich des Gepäcks und grundlegende Verhaltensmaßregeln auf dem Schiff im Hinblick auf die bevorstehende Schiffspassage.

Im Sommer 1920 wurde die Druckerei verschifft und trat zusammen mit einem der letzten Militärtransporte in Wladiwostok den Heimweg an. Als sie schließlich im September 1920 in Triest von Bord des amerikanischen Dampfers „Logan“ an Land ging, hatte sie insgesamt über 30 000 Kilometer zurückgelegt und mehr als 11 Millionen Exemplare unterschiedlicher Ausgaben produziert. Die letzte war die Nr. 40 des Schiffsblättchens „Zadní voj“ („Die Nachhut“), das täglich während der Überfahrt erschienen war.

Zadní voj: List 33. transportu československého vojska na „U. S. A. T. Logan“ (Die Nachhut: Blatt des 33. Transports des tschechoslowakischen Militärs auf der „U. S. A. T. Logan“), Nr. 18, 13.8.1920 (BSB-Signatur: Z 2016.282-1920,1/40)

Neben der gleichsam offiziellen Produktion aus der Zugdruckerei wurden zudem von vielen Truppenteilen und Vereinen laufend unterschiedliche Veranstaltungsprogramme, Plakate, Zeitschriften oder Gedichtbände mit meist einfachen Mitteln – hektografisch oder handschriftlich – verfertigt.

„Wäre gern im Schatten der Barrikaden gestorben […] ihr Tyrannenknechte, /. sagt dem elenden Kaiser, / dass ich ihm ins Gesicht speie, / er wird sich mit Blut zu Tode trinken / es lebe die Demokratie!“      J. Nechvátal: Smrt českého rebella (Der Tod eines tschechischen Rebellen). In: Otčina: Týdeník prvé roty 3. pluku Jana Žižky z Trocnova (Das Vaterland: Wochenschrift der ersten Kompanie des dritten Regiments [benannt nach dem Hussitenfeldherrn] Jan Žižka z Trocnova), Jg.1, Nr.4 [29.5.1917]. (BSB-Signatur: Ana 826.1)

Bezpráv, Petr [Pseudonym]: Sibiřské písně: Sloky revoluční dle Petra Bezruče (Sibirische Lieder: Revolutionsverse nach Petr Bezruč). Vladivostok 1919 (BSB-Signatur: 81.98001)

Fast jeder Schiffstransport hatte außerdem seine eigene Schiffszeitung. An Bord der englischen „Himalaya“ etwa wurde von heimkehrenden Serben, Slowenen und Kroaten das gleichnamige Blatt „Himalaja“ mit einem Hektografiergerät gedruckt. Die Aufmachung war – im Zeichen der neuen staatspolitischen Realität – ganz jugoslawisch: Der Titel serbisch, die Erscheinungs- und Datumsangaben kroatisch und die meisten Beiträge slowenisch, alles außer dem kyrillischen Titel in lateinischen Lettern.

Himalaja, Nr. 1, Vladivostok, 2.8.1920 (BSB-Signatur: Res/2 Z 2018.113-1920) mit humoristischer Beilage Jugoslovenski romar (Jugoslawischer Pilger)

 

Außer den oben abgebildeten wurden noch folgende Titel erworben:

  1. Bezruč, Petr: Slezské písně. Jekatěrinburg 1918 (BSB-Signatur: L.sel.I 5178)
  2. Čechoslovan: Neodvislý list boje za samostatnost národa. Kijev 31.10.1917 (BSB-Signatur: Res/4 Z 2018.255-1917)
  3. Divintstvo. Nr. 3, Mysovaja o.J. (BSB-Signatur: Ana 826.5)
  4. Hanák: Časopis 6. Čechoslovenského střeleckého Hanáckého pluku. Nr. 1, Pirjatin 1917 (BSB-Signatur: Ana 826.6)
  5. Havlíček Borovský, Karel: Epigramy. Jekatěrinburg 1919 (BSB-Signatur: 81.96312)
  6. Jesenský, Ján: Nástin dejín slovenskej literatúry. Jekaterinburg 1918 (BSB-Signatur: 81.96313)
  7. Kopřivy, Nr. 1, Remčice [1917]. [Handschrift]. (BSB-Signatur: Ana 826.7)
  8. Medek, Rudolf: Zborov. Čelabinsk 1918 (BSB-Signatur: 81.96984)
  9. Táborita: Týdeník 3. pluku Jana Žižky z Trocnova. Jg.2, Nr. 21, 21.5.1917. (BSB-Signatur: Ana 826.4)
  10. Věstník [Odbočky Československé Národn Rady], Nr. 15, 17, 23, 33, 36, 51, 52, 56, 67, Vladivostok 1918 (BSB-Signatur: Res/4 Z 2018.259-1918)
  11. Věstník O.Č.S., Nr. 1, Petropavlovsk 1917 (BSB-Signatur: Ana 826.2)

Alle Titel können über den OPAC in einen der Lesesäle der Bayerischen Staatsbibliothek bestellt werden.

 

Filip Hlušička


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